Unsichtbare Geschichte jenseits der Großbauten – Woran, wie in Zukunft erinnern?

Nürnberg

Bis heute prägen vor allem die Bilder der Inszenierungen zu den Reichsparteitagen die Wahrnehmung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. Die teils unvollendeten Großbauten stehen im Zentrum des Interesses. Dagegen sind Bauten und Strukturen, die etwas über die Geschichte des Areals im Zweiten Weltkrieg erzählen können, beinahe komplett verschwunden. Letzter baulicher Zeuge ist der heute teils überwucherte und abgesperrte Bahnhof Märzfeld: Er erinnert daran, dass das Reichsparteitagsgelände auch ein Tatort nationalsozialistischer Verbrechen und Gewalt, ein Ort individuellen Leidens war. Neben seiner Bedeutung als zentraler Bahnhof für den An- und Abtransport von vielen tausenden Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitenden machen die Deportationen von über 2000 Jüdinnen und Juden aus Franken in Vernichtungslager und Ghettos im Osten, den Bahnhof Märzfeld zu einem wichtigen Erinnerungsort. Die Orte des Leidens, wie das Sammellager für die Deportationen, das weitläufige Kriegsgefangenenlager sowie die Lagerstrukturen für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sind durch die zwischenzeitliche Überbauung verschwunden. Heute befindet sich dort befindet der Stadtteil Langwasser. Erinnerungszeichen sind rar. Auch die erste Dauerausstellung des Dokumentationszentrums widmete sich diesem Teil der Geschichte des Areals nur unzureichend. Diese Lücke zu schließen ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der Arbeit des Dokumentationszentrums.

Die Publikation „Das Reichsparteitagsgelände im Krieg. Gefangenschaft, Massenmord und Zwangsarbeit“ sowie die Webpräsentation „Lager-Langwasser“ rundeten ein seit 2017 durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördertes internationales Forschungsprojekt ab. Über 45.000 Besucherinnen und Besucher sahen dessen Ergebnisse bereits 2019/20 in einer Sonderausstellung des Dokumentationszentrums. Ein erstes Bildungsangebot vermittelt jungen Menschen die Gewaltgeschichte des Areals und im Stadtraum. Durch die intensive Beschäftigung der Teilnehmer:innen mit einzelnen Biographien werden die unterschiedlichen Dimensionen von erlebter Gewalt, das Ausmaß des NS-Zwangsarbeitseinsatzes sowie die rassistische Behandlung der Menschen deutlich. Ebenso bezieht die jüngst entwickelte App zum Gelände die ehemaligen Lagerstrukturen und das Thema Zwangsarbeit mit ein. Zudem sollen Teile des letzten architektonischen Zeugen zur Gewaltgeschichte des Geländes – der Bahnhof Märzfeld – bis 2025 zu einem würdigen Informations- und Erinnerungs- und Lernort umgestaltet werden.

Aufbauend auf diese etablierten Formate will das Dokumentationszentrum zusammen mit der Stadtgesellschaft und in der Bildungsarbeit diesen eingeschlagenen Weg weiterentwickeln und in engem Austausch mit anderen Institutionen zeitgemäße Formate finden, um die Gewaltgeschichte des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes verstärkt ins Bewusstsein zu rücken.