Entstehung von Lern- und Erinnerungsorten
Zwangsarbeit als NS-Verbrechen spielte im Deutschland der Nachkriegszeit keine Rolle. Zwar standen mit Flick und Krupp namhafte Unternehmen bei einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse im Visier der Ermittler, doch gelang es diesen, sich als Opfer der NS-Wirtschaftspolitik bzw. den Zwangssituationen darzustellen. Das verschleierte den Blick auf die freiwillige, alltägliche, massenweise und oftmals menschenverachtende Ausnutzung von Zwangsarbeitenden, die sowohl im wirtschaftlichen, öffentlichen als auch privaten Bereich stattfand.
Im Alltag der deutschen Nachkriegsgesellschaft war der Blick vielmehr auf das eigene Opfernarrativ gerichtet. Oft herrschte auch die Meinung, dass es den "Fremdarbeitern" gut gegangen sei. "Displaced Persons" hatten keine ausreichende Lobby, um Druck auf die deutsche Regierung aufzubauen. Stattdessen waren sie erneut Anfeindungen und Ausgrenzung ausgesetzt. Das betrachtete Unrecht konzentrierte sich, wenn überhaupt, auf die von den Firmen vorenthaltenen Löhne der Zwangsarbeitenden.
Die nachkriegszeitlich in der BRD errichteten Denkmäler für NS-Opfer bezogen ehemalige Zwangsarbeitende nicht mit ein. In der DDR wurden bereits ab Mitte der 1950er-Jahre große "Nationale Mahn- und Gedenkstätten" an den Orten ehemaliger Konzentrationslager errichtet, denen im selbsternannten antifaschistischen Staat eine hohe Bedeutung zukam. Die zivile Zwangsarbeit spielte jedoch auch für die Erinnerungskultur der DDR keine Rolle.
Die 1990er Jahre galten als Umbruch. Nach dem Ende des "Kalten-Krieges" sahen sich Unternehmen zunächst in den USA mit Sammelklagen zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeitender konfrontiert. In Deutschland beschäftigten sich Initiativen und Geschichtswerkstätten vermehrt mit bis dahin "vergessenen Opfern", darunter auch Zwangsarbeiter:innen. Sie initiierten Ausstellungen in ihrem jeweiligen lokalen Kontext, recherchierten Profiteure und unterstützen ehemalige zivile Zwangsarbeiter:innen bei ihren öffentlichen Forderungen nach Entschädigung. Einige Städte organisierten ein "städtisches Besuchsprogramm". Sie luden ehemalige Zwangsarbeiter:innen nach Deutschland ein. Dort besuchten sie ihre ehemaligen Haft- oder Arbeitsstätten und sprachen mit öffentlichen Vertreter:innen und Interessierten.
Angesichts des öffentlichen Drucks bevorstehender Klagen richtete der Bundestag im Jahr 2000 eine Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeit unter finanzieller Beteiligung der deutschen Wirtschaft ein: die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Die alles andere als konfliktfrei verlaufende Debatte um Entschädigung und das fehlende Schuldeingeständnis der Unternehmen haben jedoch viele ehemalige Zwangsarbeitende, sofern sie wie Barbara Jablonska überhaupt noch lebten, als erneute Demütigung empfunden.
"Den Streit über die Entschädigung [der Zwangsarbeiter] empfand ich als skandalös […], weil sich dabei eine unmenschliche Gleichgültigkeit offenbarte, ein kalter Wind aus der Vergangenheit."
Barbara Jablonska ehemalige Zwangsarbeiterin in Nürnberg in einem Interview 2003, © Interview Gerhard Jochem
Im Jahr 2006 eröffnete nach langem bürgerschaftlichen Engagement in Berlin das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit am Standort eines ehemaligen Zwangsarbeitslagers. Dies war der erste Erinnerungsort, der sich ausschließlich dem Thema NS-Zwangsarbeit widmete. Seit 2013 ist dort eine Ausstellung zu sehen, die das Thema NS-Zwangsarbeit in Berlin und im Deutschen Reich behandelt. Bereits zwei Jahre zuvor, im Jahr 2010, wurde im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung "Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg" eröffnet. Die von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora erarbeitete Wanderausstellung wurde in zahlreichen europäischen Hauptstädten gezeigt und wird ab 2024 im neu eröffneten Museum Zwangsarbeit in Weimar zu sehen sein.
Seither sind zahlreiche Projekte und Informationsplattformen entstanden, werden Initiativen und Erinnerungsorte gefördert. Neben den auf dieser Website aufgeführten Lern- und Erinnerungsorten existieren zahlreiche weitere, oft auf Anregung lokaler Akteure entstandene Erinnerungszeichen wie Stolpersteine oder Gedenktafeln. Zahlreiche Anfragen von Angehörigen ehemaliger Zwangsarbeitender aus ganz Europa bei den Gedenkstätten und Archiven auf der Suche nach mehr Informationen zum Schicksal ihrer Familienmitglieder zeugen von den tiefen Spuren, welches das Verbrechen Zwangsarbeit bis heute hinterlassen hat.
Literatur:
Förderverein für ein Dokumentations- und Begegnungszentrum zur NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide e.V. (Hrsg.). "NS-Lager entdeckt". Zwangsarbeiterlager Schöneweide wird historischer Ort, Berlin 2006.
Michael Papendick, Jonas Rees, Maren Scholz & Andreas Zick / Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Multidimensionaler Erinnerungsmonitor Studie IV, Berlin/Bielefeld 2021.
Berlin, Bielefeld 2022